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Am 30.06.2021 wurden zwei neue Bundesgesetze verkündet, mit denen der deutsche Gesetzgeber auf die fortschreitende Digitalisierung reagiert hat. Konkret handelt es sich um die Umsetzung der europäischen Warenverkaufsrichtlinie („WKRL“)[1] sowie der Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen („DIDRL“)[2]. Die hiermit verbundenen Neuregelungen führen zu den weitreichendsten Änderungen des BGH seit der Schuldrechtsmodernisierungsreform im Jahr 2002. Neben der Einführung von Spezialregelungen in den §§ 327 ff. BGB n.F. für Verbraucherverträge, die die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen (digitale Produkte) zum Gegenstand haben, wird auch das Kaufrecht in den §§ 433 ff. BGB angepasst. Diese Neuregelungen, die zum 01.01.2022 in Kraft treten und für alle ab diesem Zeitpunkt geschlossenen Verträge gelten, sind nicht nur für die Industrie, sondern auch für Produkthaftpflichtversicherer relevant und werden zukünftig insbesondere bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen sein müssen.
Hintergrund und Zielsetzung
Hintergrund der Neuerungen im BGB ist das Bestreben des europäischen Gesetzgebers, die digitale Strategie der Europäischen Kommission voranzutreiben. Ziel der WKRL sowie der DIDRL ist zunächst die Vollharmonisierung des Vertragsrechts für digitale Produkte in den EU-Mitgliedstaaten. Die aktuell bestehenden uneinheitlichen nationalen Regelungen sollen durch die Richtlinien ersetzt werden. In einigen Ländern, wie insbesondere Deutschland, müssen spezielle Vorschriften zu Verträgen über digitale Produkte überhaupt erst eingeführt werden. Daneben soll der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern durch die Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht weiter ausgebaut werden.
Neuer Sachmangelbegriff
Die auf den ersten Blick weitreichendste Änderung liegt in der Anpassung des kaufrechtlichen Sachmangelbegriffs. Ab dem 01.01.2022 ist dieser in § 434 BGB n.F. wie folgt definiert:
1) Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht.
2) Die Sache entspricht den subjektiven Anforderungen, wenn sie
3) Soweit nicht wirksam etwas anderes vereinbart wurde, entspricht die Sache den objektiven Anforderungen, wenn sie
Zu der üblichen Beschaffenheit nach Satz 1 Nummer 2 gehören Menge, Qualität und sonstige Merkmale der Sache, einschließlich ihrer Haltbarkeit, Funktionalität, Kompatibilität und Sicherheit. 3Der Verkäufer ist durch die in Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b genannten öffentlichen Äußerungen nicht gebunden, wenn er sie nicht kannte und auch nicht kennen konnte, wenn die Äußerung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in derselben oder in gleichwertiger Weise berichtigt war oder wenn die Äußerung die Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte.
4) Soweit eine Montage durchzuführen ist, entspricht die Sache den Montageanforderungen, wenn die Montage
5) Einem Sachmangel steht es gleich, wenn der Verkäufer eine andere Sache als die vertraglich geschuldete Sache liefert.
Der bisher geltende Vorrang des subjektiven Mangelbegriffs ist damit ab dem 01.01.2022 aufgehoben. Nach dem neuen Kaufrecht stehen vielmehr die subjektiven und objektiven Anforderungen sowie Montageanforderungen gleichrangig nebeneinander. Diese Abkehr vom der bislang vorrangigen Bedeutung der vereinbarten Beschaffenheit hat zur Folge, dass zukünftig Konstellationen denkbar sind, in denen die gelieferte Ware zwar den vertraglich festgelegten Vorgaben entspricht, aber dennoch mangelhaft ist, da sich die Sache etwa nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und damit die objektiven Anforderungen nicht erfüllt sind.
Änderung von § 439 BGB
Daneben wird durch die Vorgaben in der WKRL insbesondere auch die Erstattung von Aus- und Einbaukosten (erneut) neu geregelt. § 439 Abs. 3 BGB n.F. ist wie folgt gefasst:
Hat der Käufer die mangelhafte Sache gemäß ihrer Art und ihrem Verwendungszweck in eine andere Sache eingebaut oder an eine andere Sache angebracht, bevor der Mangel offenbar wurde, ist der Verkäufer im Rahmen der Nacherfüllung verpflichtet, dem Käufer die erforderlichen Aufwendungen für das Entfernen der mangelhaften und den Einbau oder das Anbringen der nachgebesserten oder gelieferten mangelfreien Sache zu ersetzen.
Die bislang geltende Einschränkung der Ersatzfähigkeit von Aus- und Einbaukosten bei grob fahrlässiger Unkenntnis der Mangelhaftigkeit im Zeitpunkt des Einbaus ist damit aufgehoben. Ab dem 01.01.2022 ist der Anspruch auf Erstattung von Aus- und Einbaukosten daher nur noch ausgeschlossen, wenn der Käufer die Mangelhaftigkeit im Zeitpunkt des Einbaus positiv kannte.
Aktualisierungspflicht für Waren mit digitalen Elementen
Weitere Neuerungen enthalten die Regelungen zu Verbrauchsgüterkaufverträgen in den §§ 474 ff. BGB, die mit den §§ 475a bis 475e BGB n.F. um spezielle Vorschriften für Kaufverträge über Waren mit digitalen Elementen ergänzt werden. Hierbei handelt es sich nach dem Gesetz um eine Ware, die in einer Weise digitale Produkte enthält oder mit digitalen Produkten verbunden ist, dass die Ware ihre Funktionen ohne diese digitalen Produkte nicht erfüllen kann. (vgl. § 475a Abs. 2 S. 1 BGB n.F.). Konkret betroffen sind etwa sogenannte Smart Home Geräte wie automatisierte Staubsauger und Rasenmäher mit embedded software, aber auch Smartphones und Tablets sowie teil- und vollautomatisierte Fahrzeuge. Für diese Waren mit digitalen Elementen sieht § 475b BGB n.F. eine eigene Sachmangeldefinition vor, die eine Ergänzung zu § 434 BGB n.F. darstellt. Nach der Neuregelung ist eine Sache auch dann mangelhaft, wenn der Verkäufer nicht dafür sorgt, dass diese durch Aktualisierungen nach Vertragsschluss weiterhin vertragsgemäß bleibt. Denn eine Ware mit digitalen Elementen entspricht den objektiven Anforderungen nur, „wenn dem Verbraucher während des Zeitraums, den er aufgrund der Art und des Zwecks der Ware und ihrer digitalen Elemente sowie unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags erwarten kann, Aktualisierungen bereitgestellt werden, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit der Ware erforderlich sind, und der Verbraucher über diese Aktualisierungen informiert wird.“ (vgl. § 475b Abs. 4 Nr. 2 BGB n.F.). Unklar bleibt bei dieser Neuregelung allerdings die konkrete Dauer der durchzuführenden Aktualisierungen, da sich die Verbrauchererwartung insoweit nur schwer prognostizieren lässt. Zu einer zeitlichen Konkretisierung der Aktualisierungspflicht konnte der deutsche Gesetzgeber sich nicht durchringen, weshalb diese Frage zukünftig wohl vom Schrifttum und der Rechtsprechung zu klären ist. Daneben wird sich gerade bei den von §§ 475a ff. BGB n.F. angesprochenen Produkten mit embedded software in der Praxis häufig das Problem stellen, dass der Verkäufer der Waren mit digitalen Elementen zu einer Aktualisierung nicht in der Lage ist. Denn in der Vielzahl der Fälle wird der Verkäufer gerade das digitale Element, auf das sich die Aktualisierungspflicht bezieht, nicht selbst hergestellt haben. Unternehmer sollten hier im Vorfeld vertragliche Vereinbarungen mit den jeweiligen Entwicklern oder Herstellern treffen, um ihren Pflichten nachkommen zu können. In dies nicht gegeben, kann die Pflicht zur Aktualisierung im Einzelfall wegen subjektiver Unmöglichkeit entfallen. Ergänzt werden die Sonderbestimmungen für digitale Produkte schließlich um eine eigene Verjährungsregelung in § 475e BGB n.F., um insbesondere der nach Vertragsabschluss fortdauernden Aktualisierungspflicht Rechnung zu tragen.
Beweislastumkehr bei Verbraucherverträgen
Eine Änderung, die nicht nur digitale Produkte, sondern alle Verbrauchsgüterkaufverträge betrifft, ist schließlich die Verlängerung der Beweislastumkehr in § 477 BGB n.F. von sechs Monaten auf ein Jahr. Tritt bei einem Kaufvertrag im B2C-Bereich innerhalb eines Jahres ein Mangel auf, wird somit grundsätzlich vermutet, dass die Sache – ob mit digitalen Elementen oder nicht – bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war. Diese Neuregelung erfüllt einerseits die mit der WKRL bezweckte Erhöhung des Verbraucherschutzes, führt andererseits aber zu einer erheblichen Haftungsverschärfung für Unternehmer.
Verträge mit digitalen Inhalten
Neben den vorgenannten Vorschriften, die allesamt das (Verbrauchsgüter-)Kaufrecht betreffen, wird das BGB ab dem 01.01.2022 in den §§ 327 ff. BGB n.F. um Regelungen für Verträge mit digitalen Inhalten und digitalen Dienstleistungen ergänzt. Nach § 327 Abs. 1 BGB n.F. fallen unter den Anwendungsbereich alle Verbraucherverträge, „welche die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen (digitale Produkte) durch den Unternehmer gegen Zahlung eines Preises zum Gegenstand haben.“ Die Begriffe der „digitalen Inhalte“ und „digitalen Dienstleistungen“ werden im Gesetz definiert. Zusammengefasst sind insbesondere Verträge betroffen, die sich auf Erstellung und Bereitstellung von Daten in digitaler Form sowie die Verarbeitung und Speicherung von Daten in digitaler Form beziehen. Entscheidend ist dabei nicht die Art des Vertragsgegenstands, sondern dessen digitale Form. Die Verkörperung auf einem physischen Datenträger steht dem jedoch nicht entgegen. Erfasst werden beispielsweise Verträge über Computersoftware und Musikdateien, aber auch Streamingdienste und Cloudanbieter. Für die Abgrenzung zu den Regelungen in den §§ 475a ff. BGB n.F. wird dabei entscheidend sein, dass bei Waren mit digitalen Elementen das verkörperte Produkt im Vordergrund steht, welches allerdings seine Funktion ohne das digitale Element nicht erfüllen kann. Die Neuregelungen im Allgemeinen Teil des BGB enthalten ein eigenes Gewährleistungsregime mit Vorschriften zum Produktmangel (§ 327e BGB n.F.), Verbraucherrechten (§§ 327i ff. BGB n.F.) sowie Regelungen zur Verjährung (§ 327j BGB n.F.) und Beweislastumkehr (§ 327k BGB n.F.).
Zusammenfassung und Ausblick
Mit den umfassenden Änderungen des Kaufrechts sowie der Einführung neuer Regelungen zu digitalen Produkten geht eine erhebliche Haftungsverschärfung für Unternehmen einher. Diese sollten sich noch vor Inkrafttreten am 01.01.2022 detailliert mit den Neuerungen befassen und den sich hieraus ergebenden Anpassungsbedarf für Kauf- und Lieferverträge sowie bislang verwendete Allgemeine Geschäftsbedingungen kritisch prüfen. Relevanz entfaltet die Reform des BGB wegen der neuen Haftungsregelungen daneben auch für Produkthaftpflichtversicherer. Dies gilt insbesondere für die (erneute) Änderung der Regelung zu Aus- und Einbaukosten, als auch die neuen Aktualisierungspflichten bei dem Verkauf von Waren mit digitalen Elementen sowie digitalen Produkten. Insoweit sind Änderungen in den Versicherungsbedingungen, die den Neuregelungen Rechnung tragen, angezeigt und zu erwarten.
[1] Richtline (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs.
[2] Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen.
End