Post-Verivox – Makler im Umbruch

  • Press Releases 04 April 2022 04 April 2022

Das mittlerweile rechtskräftige Verivox-Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe wird die Beratungspraxis der Makler erheblich verändern. Mit einer Umsetzungsempfehlung haben zuletzt der Bundesverband Finanzdienstleistung e.V. (AfW) und der Verband unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e.V. (VOTUM) reagiert.

Post-Verivox – Makler im Umbruch

Kurz zum Hintergrund der Entscheidung:

Es ging um ein Online-Vergleichsportal (Verivox), das nur die Versicherungen seiner Mitglieder vergleicht, dem Interessenten dann aus diesem Pool ein Ergebnis in Bezug auf seine Suchanfrage ausweist und anschließend den Abschluss eines Versicherungsvertrages ermöglicht. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat dazu entschieden, dass ein solches Geschäftsmodell der gesetzlichen Definition des Versicherungsmaklers (vgl. § 59 Abs 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und § 34 d Abs 1 Gewerbeordnung (GewO)) entspricht, und sich das Vergleichsportal daher an § 60 VVG messen lassen muss. Nach § 60 VVG müssen Versicherungsmakler ihrem Rat eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und Versicherern zu Grunde legen. Damit soll erreicht werden, dass der Rat, entsprechend der Funktion des Maklers als treuhändischer Interessen- und Sachwalter des Versicherungsnehmers, stets auf einer objektiven und ausgewogenen Marktanalyse beruht. Liegt dem Rat im Einzelfall eine solche Marktanalyse nicht zugrunde, bestehen gegenüber den Kunden umfangreiche Hinweispflichten. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat entschieden, dass Verivox seine Maklertätigkeit auf der Basis einer eingeschränkten Beratungsgrundlage ausgeübt und die Interessenten und späteren Versicherungsnehmern nicht darauf hingewiesen hat. Die Entscheidung enthält auch Hinweise zur grundsätzlich geschuldeten umfassenden Marktanalyse und der dieser zugrunde zu legenden hinreichenden Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und Versicherern.  Besondere Kritik hat dabei hervorgerufen, dass Makler auch Angebote von Versicherern berücksichtigen müssen, die sie selbst nicht vermitteln können.

Bedeutung der Entscheidung

Das Urteil enthält einigen Interpretations- und Beurteilungsspielraum für relevante Begriffe und Schwellenwerte. So hat das Oberlandesgericht Karlsruhe in seinem Urteil unter anderem nähere Ausführungen dazu gemacht, wann eine ausgewogene Marktanalyse nicht mehr vorliegt, und wie die gesetzlich geregelten Hinweispflichten für diesen Fall ausgestaltet sein müssen; es wird aber nicht positiv formuliert, wann eine hinreichende Marktanalyse vorliegt. Unsicherheit besteht auch bezüglich der Anforderungen an den Einzelfall, bzw. ob die Abweichungen vom Grundsatz der uneingeschränkten Beratung für den betreffenden Makler – entgegen dem gesetzlichen Leitbild - zum Standard werden dürfen. 

Den schwierigen Graubereichen begegnen die von AfW/VOTUM veröffentlichten Umsetzungshinweise mit vorsichtigen und eher strengen Maßstäben. Aus Sicht dieses Verbandes ein wahrscheinlich kluger Schachzug. Denn je mehr Makler sich zu einer vorsichtigen „Platin-Umsetzung“ des Urteils entschließen, desto mehr wird sich die „eingeschränkte Beratungsgrundlage“ verbreiten. Es wäre dann zu erwarten, dass die negative Wahrnehmung der eingeschränkten Beratung mit entsprechenden Hinweisen – die wohl dem abweichenden gesetzlichen Leitbild, nicht aber der Beratungsrealität entspricht – sich so nivellieren und in eine neue Normalität übergehen wird. Das schließt nicht aus, dass Makler je nach Zielgruppe und Produkt weiterhin ihre besondere Beratungskompetenz herausstellen. 

Exemplarisch sollen einige Details aus dem Urteil und die damit korrespondierende Empfehlung von AfW/VOTUM näher betrachtet werden. 

Zur Orientierung erfolgt vorab eine kurze systematische Einordung der rechtlichen Anforderungen nach § 60 VVG:

1. Der Grundsatz der nicht eingeschränkten Beratungsgrundlage umfasst, dass der Rat des Maklers

  • auf eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und Versicherern gestützt ist, und
  • unter Beachtung fachlicher Kriterien geeignet ist, die Bedürfnisse des Versicherungsnehmers zu erfüllen. 

2. Abweichungen sind zulässig, wenn

  • im Einzelfall,
  • ausdrücklich 

auf eine beschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl hingewiesen wird.

3. Als Konsequenzen einer eingeschränkten Beratungsgrundlage muss der Makler dem Versicherungsnehmer 

  • die Marktgrundlage
  • die Informationsgrundlage, und
  • die Namen der seinem Rat zugrunde gelegten Versicherer

mitteilen.

Hinreichende Zahl 

Wann ein Makler eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen berücksichtigt, lässt sich dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe nicht eindeutig entnehmen. Zur Orientierung führt das Gericht aus, dass der Makler, der seinem Rat nicht mehr als 50% der am Markt angebotenen Versicherungsverträge oder Versicherer zugrunde legt, jedenfalls keine ausgewogene Marktuntersuchung durchgeführt hat, mit der Folge, dass die genannten Hinweispflichten bestehen. Die im entschiedenen Fall durchgeführte Marktanalyse wurde im Detail vom Gericht überprüft. So wurde ausgeführt, dass die Beklagte [Verivox] nur 48% der 67 wichtigsten Anbieter, die nach der Statistik der BaFin ermittelt wurden, bzw. vergleichend nur 49 von 90 der von der BaFin aufgelisteten Privathaftpflichtversicherer berücksichtigt hat. Des Weiteren führte das Gericht aus, dass bestimmte marktstarke Versicherer gar nicht ausgewertet wurden und die Beklagte in dem streitgegenständlichen Privathaftpflichtversicherungsvergleich nur diejenigen Versicherer einbezog, mit denen sie eine Courtageabrede getroffen hat. Das Gericht führte aus, dass auch Versicherer in den Vergleich einzubeziehen sind, die mit dem Versicherungsmakler nicht zusammenarbeiten wollen. Auch wenn ungefähr die Hälfte der am Markt auftretenden Versicherer – aus welchen Gründen auch immer – von der Beklagten nicht genannt werden wollten oder nicht bereit waren, ein von der Beklagten als Versicherungsmaklerin unterbreitetes Angebot auf Abschluss eines Versicherungsvertrags anzunehmen, schuldet die Beklagte als Maklerin den an der entsprechenden Versicherung interessierten Kunden grundsätzlich die Einbeziehung von deren Konditionen in die Marktanalyse. 

Vor diesem Hintergrund schlägt AfW/VOTUM ohne Gewähr und unter Verweis auf das Fehlen weiterer Gerichtsentscheidungen als unverbindliche, grobe Richtschnur für eine (noch) ausgewogene Marktanalyse vor, grundsätzlich ca. 70% der am Markt angebotenen Versicherungsverträge oder Versicherungen zu berücksichtigen. Bei Spezial- oder Nischenversicherungen, bei denen es nur sehr wenige Anbieter gibt, könne es sogar erforderlich sein, alle Anbieter zu berücksichtigen. 

In dieser vorsichtigen Grundhaltung kann die diesbezügliche Empfehlung als praxisorientierte Richtschnur sicherlich hilfreich sein. 

Wegen der gerichtlichen geforderten Pflicht auch Versicherer und Versicherungen zu empfehlen, von denen der Makler dafür keine Courtage erhalten wird, halten wir es für möglich, dass sich neue kombinierte Entlohnungsmodelle entwickeln werden. Denn die Ausarbeitung eines fachlichen qualifizierten Rates kann in einem gewerblichen Umfeld bei kaufmännisch sinnvollem Verhalten nicht kostenfrei erfolgen. 

Im Einzelfall

Ein weiteres wichtiges Detail ist die Auseinandersetzung mit dem Merkmal „im Einzelfall“. 

Dazu führt das Oberlandesgericht Karlsruhe aus, dass eine Limitierung der eingeschränkten Beratungsgrundlage auf Fälle, in denen ein sonst umfassend beratender Makler einen einzelnen Rat ausnahmsweise auf eine beschränkte Grundlage stützt, weder § 60 Abs. 1 VVG zu entnehmen noch in den zugrunde liegenden europäischen Richtlinien angelegt sei. Die Wendung „im Einzelfall“ im Gesetzestext bringe nur zum Ausdruck, dass die Pflicht nach § 60 Abs. 1 S. 1 VVG immer nur in dem (Einzel-)Fall entfällt, in dem der Versicherungsmakler den konkreten Kunden den Hinweis nach § 60 Abs. 1 S. 2 VVG erteilt. Die in der Gesetzesbegründung  gegebenen Beispiele („insbesondere“, „z.B.“) seien nicht abschließend. Im Übrigen werde dort gerade ausgeführt, dass z.B. ein primär im Schiffversicherungsbereich tätiger Makler auch generell (sic!) ohne Marktüberblick für seine Kunden Hundehaftpflichtrisiken nur bei einem Versicherer unterbringen kann, aber jeden Kunden „im Einzelfall“ darauf hinweisen müsse. 

Der Wortlaut der maßgeblichen Versicherungsvertriebsrichtline (IDD) gibt diesbezüglich keine präferierte Richtung vor, sondern lässt den Versicherungsvertrieb in Art 19 Abs. 1 c) und Art 20 Abs. 3 IDD wertungsfrei mit und ohne Beratung zu. 

Ob es zutrifft, dass ein Versicherungsmakler, der systematisch und im Verhältnis zu allen Kunden die Beratungsgrundlage auf solche Weise einschränkt, eine maklergerechte Beratung i.S.v. § 60 Abs. 1 VVG nicht mehr gewährleistet, und sich dadurch von dem in § 59 Abs. 3, § 60 Abs. 1 VVG niedergelegten Leitbild in unzulässiger, ggf. sogar den Widerruf der Maklererlaubnis rechtfertigender Weise entfernt, musste nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe für den streitgegenständlichen Fall nicht erörtert und entschieden werden. 

Die generelle Verwendung einer eingeschränkten Beratungsgrundlage ist somit durch die Ausführungen des Gerichts zwar nicht vollständig abgesichert. Das Urteil deutet aber in Richtung der Zulässigkeit einer generell eingeschränkten Beratungsgrundlage, auf die dann in jedem Einzelfall hinzuweisen ist.

Im Rahmen der Empfehlungen der AfW/VOTUM wird diese grundlegende Problematik nicht diskutiert, es werden jedoch praktische Ratschläge erteilt. So wird beispielsweise ein gesonderter Hinweis empfohlen. Von einer Mitteilung nur im Maklervertrag, in gesonderten AGB oder der Kundenerstinformation wird als nicht ausreichend abgeraten. 

Diese Hinweise sind nach unserem Dafürhalten eine vorsichtige Umsetzung. Ob das Kriterium „im Einzelfall“ auch durch andere individuelle Gestaltung ausreichend erfüllt werden könnte, wäre zu prüfen.

Umfassende Hinweise

Für den Fall der Verwendung einer eingeschränkten Beratungsgrundlage hebt das Oberlandesgericht Karlsruhe hervor, dass die dann zu erteilenden Hinweise nicht bereits durch die Benennung der bei dem Rat in Betracht gezogenen Versicherer erfüllt sei. Der im Gesetz zum Ausdruck gekommene Normzweck liege darin, dem Versicherungsnehmer im Fall einer beschränkten Beratungsgrundlage dieselbe transparent zu machen, damit der Versicherungsnehmer sich zumindest teilweise ein Urteil über die fachliche Kompetenz und Interessengebundenheit des Versicherungsvermittlers bilden kann. Der Wortlaut der Vorschrift unterscheide zwei Gegenstände der Informationspflicht. Einerseits habe der Versicherungsvermittler mitzuteilen, auf welcher Markt- und Informationsgrundlage er seine Leistung erbringt. Daneben („und“) habe er die Namen der seinem Rat zugrunde gelegten Versicherer anzugeben. 

Vor diesem Hintergrund empfiehlt AfW/VOTUM neben der namentlichen Benennung der berücksichtigten Versicherungen detaillierte Hinweise mit folgenden Beispielen: 

Der erste Beispielhinweis bezieht sich auf die Information, dass die Beratung auf einer eingeschränkten Versicherer- und Vertragsauswahl beruht und der Versicherungsmakler in diesem Einzelfall vom gesetzlichen Regelfall abweicht:

„Die Empfehlung beruht auf einer eingeschränkten Beratungsgrundlage. Damit wurde der Marktanalyse keine hinreichende Anzahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und Versicherungen zugrunde gelegt. Sie weicht in diesem Fall vom gesetzlichen Regelfall ab.”

Der zweite Beispielhinweis bezieht sich darauf, woher die Informationen zu den Versicherungsverträgen und Versicherungen stammen (Informationsgrundlage):

„Die Informationen zu den von mir berücksichtigten Versicherungen und Versicherungsverträgen habe ich aus folgenden Quellen: „eigene Anbindung zu Versicherern“, „Maklerpool“, „Verbund von Maklern” sowie „Vergleichsprogramme etc.“

Der dritte Beispielhinweis bezieht sich auf die Marktanteile der vom Makler berücksichtigten Versicherer und Versicherungsverträge (Marktgrundlage). 

“Nach meinen Recherchen haben die von mir berücksichtigten Versicherungen einen Marktanteil von x-Prozent. Diese Informationen habe ich folgenden Quellen entnommen: (...).”

Oder falls die Marktanteile nicht zu ermitteln sind:

„Es ist mir nicht möglich, eine Einschätzung dazu abzugeben, welchen Marktanteil die von mir untersuchten Versicherungen haben. Es gibt zu dieser Versicherung keine Statistiken, oder ich habe keinen Zugang zu Statistiken, aus denen ich auch nur schätzungsweise Informationen zum Marktanteil der von mir berücksichtigten Versicherungen ableiten könnte. Es ist somit möglich, dass die von mir berücksichtigten Versicherungen nur einen geringen Marktanteil der in Deutschland angebotenen Versicherungen abdecken.“

Bei einer gewünschten vorsichtigen Umsetzung können diese allgemeinen Hinweise unseres Erachtens hilfreich sein; andere individuelle Gestaltungen erscheinen aber ebenfalls möglich.


[1] OLG Karlsruhe, Urt. vom 22.09.2021 - 6 U 82/20, VersR 2022, 43
[2] https://www.bundesverband-finanzdienstleistung.de/verivox-urteil-hinweispflichten/
[3] OLG Karlsruhe, Urt. vom 22.09.2021 - 6 U 82/20, VersR 2022, 43 (46,47)
[4] OLG Karlsruhe, Urt. vom 22.09.2021 - 6 U 82/20, VersR 2022, 43 (48)
[5] OLG Karlsruhe, Urt. vom 22.09.2021 - 6 U 82/20, VersR 2022, 43 (48, 49), m.w.N.

[6] https://www.bundesverband-finanzdienstleistung.de/verivox-urteil-hinweispflichten/, Seite 2
[7] BT-Drucks. 16/1935, S. 23
[8] OLG Karlsruhe, Urt. vom 22.09.2021 - 6 U 82/20, VersR 2022, 43 (49)
[9] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32016L0097&from=en
[10] OLG Karlsruhe, Urt. vom 22.09.2021 - 6 U 82/20, VersR 2022, 43 (49), m.w.N.

[11] https://www.bundesverband-finanzdienstleistung.de/verivox-urteil-hinweispflichten/,, Seite 2
[12] OLG Karlsruhe, Urt. vom 22.09.2021 - 6 U 82/20, VersR 2022, 43 (51,52), m.w.N.
[13] https://www.bundesverband-finanzdienstleistung.de/verivox-urteil-hinweispflichten/, Seiten 3,4

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